6. Februar 2013
Waldorfpädagogik und Inklusion. 9
Das Thema Waldorfpädagogik ist an sich ein sehr interessantes Thema.
Hierzu empfehle ich diese Podcast-Folge von Hoaxilla (Ein Podcast ist wie Radio auf Abruf – anklicken und anhören) oder z. B. diesen Blog-Artikel.
Aber Waldorfpädagogik und Kinder mit Beeinträchtigung – das ist ein Thema, bei dem man so richtig sauer werden kann. In meiner Nähe wurde vor ein paar Jahren eine heilpädagogische Waldorfschule gegründet und ich gehe davon aus, das die Eltern die ihre Kinder dort hinschicken, entweder selber der unsäglichen Anthroposophie anhängen oder sich nicht informiert haben.
Das Thema ist zu umfangreich um das hier auszuwälzen, deswegen nur ein kleines Beispiel:
Die Anthroposphie unterteilt den Lebensanfang eines Menschen in drei Jahrsiebte (und ja sie heißen so, weil es sich hier um Phasen von 7 Jahren handelt. Individuelle Unterscheidungen gibt es keine).
Im ersten Jahrsiebt (Geburt bis zum Zahnwechsel) entwickelt sich das Kind zur Schulreife und soll in dieser Zeit möglichst nicht durch äußere Erziehung gestört werden. Das Kind lernt ausschließlich durch Nachahmung.
Das bedeutet: Kein frühes Lesen. Keine individuelle Förderung. Frontalunterricht.
Wer sich mal eine Waldorfschule anschauen geht, wird feststellen:
– Große Klassen (Nachahmung geht eben auch mit 40 Kindern)
– Frontalunterricht.
– Sehr gut bearbeitete Hefte/Mappen – aber alle gleich.
Keine Kreativität. Kein eigenes Denken erwünscht.
Fragen Sie dann auch mal einen Lehrer ob Ihr Kind ein Fersengeher oder ein Ballengeher ist . Man glaubt es kaum, aber diese Frage ist für die Waldorfpädagogik von großer Bedeutung.
Es mag sein, das nicht alle Waldorf-Schulen dem Gesamtkonzept von Steiner zu hundert Prozent anhängen. Wenn sie es aber grundsätzlich nicht tun würden, wären und hießen sie nicht Waldorfschulen.
Also egal ob man sein Kind (mit oder ohne Behinderung) auf eine Regelschule mit Einzelintegration oder auf eine Schwerpunktschule oder auf eine inklusive Schule oder auf eine Förderschule schicken mag: Waldorfschulen sind aus grundsätzlichen Überlegungen auszuschließen.
Es gibt keine Inklusion und keine Integration in der Anthroposophie. Und was die Kinder mit Beeinträchtigung in ihrem vorherigen Leben so getan haben, das möchte dann auch gar nicht mehr wissen. Und wenn doch, dann kann man das auf www. Anthrowiki .at/Reinkarnation nachlesen.
Abschließend möchte ich noch anfügen, das all die Schwächen, die unser staatliches Schulsystem hat, damit nicht aus der Welt oder entschuldigt sind. Daran muss man arbeiten.
Update:
In den Kommentaren zu diesem Artikel hat Andreas Lichte zwei weitere informative Links angefügt.
Da die Kommentare nicht immer so direkt einsehbar sind, liste ich die Links hier explizit nochmal auf:
Waldorflehrer werden! – am „Seminar für Waldorfpädagogik Berlin“
Waldorfschule: “Man kann nicht nur ein bisschen Waldorf sein”
Und abschließend Herrn Lichtes Kommentar zitiert:
“Kurz vor dem Stellenangebot war im “Seminar für Waldorfpädagogik Berlin” unterrichtet worden – meine sinngemässe Zusammenfassung –, dass Behinderte in ihrem letzten Leben gesündigt haben, und ihnen die Behinderung die Chance gibt, ihr Karma abzuarbeiten.”
7. Februar 2013 @ 09:54
Ich bin “ausgebildeter” Waldorflehrer. “Ausgebildet” heisst: ich habe eine Fortbildung zum Waldorflehrer abgeschlossen, mich aber entschieden, nicht in der Waldorfwelt zu arbeiten, obwohl man mir einen Arbeitsplatz in einer anthroposophischen Behindertenwerkstatt anbot. Kurz vor dem Stellenangebot war im “Seminar für Waldorfpädagogik Berlin” unterrichtet worden – meine sinngemässe Zusammenfassung –, dass Behinderte in ihrem letzten Leben gesündigt haben, und ihnen die Behinderung die Chance gibt, ihr Karma abzuarbeiten.
Das wird von Markus Beauchamp, einem Mit-Seminaristen, im ZDF, Frontal 21, Sendung vom 18. April 2006, „Von Ariern und primitiven Rassen – Steiners Lehren und die Waldorfschulen“ bestätigt, Zitat:
“(…) Die offizielle Zeitschrift des Bundes Freier Waldorfschulen beruft sich auch auf die Wiedergeburtstheorie Steiners. Nach der sind Krankheiten und Behinderungen schicksalhaft vorherbestimmt, Zitat:
»Die Verwandlung von Lügenhaftigkeit über die Scheu zur Schwachsinnigkeit im nächsten Leben ist eine spirituelle Gesetzmäßigkeit, die der Geistesforscher Rudolf Steiner entdeckt hat.«
O-Ton, Markus Beauchamp, Ex-Waldorfseminarist:
»Das bedeutet nichts anderes, dass im vorangegangenen Leben dieser jetzt behinderte Mensch irgendwas Schlechtes gemacht hat, was Sündiges, sei es er wäre ein Lügner gewesen. Das muss er jetzt in seiner Jetztzeit sühnen.« (…)“
7. Februar 2013 @ 10:00
Ich habe einen Erfahrungsbericht über meine Ausbildung zum Waldorflehrer geschrieben. “Behinderte und Karma”, siehe meinen ersten Kommentar , taucht dort nicht auf:
–
“Waldorflehrer werden! – am ‘Seminar für Waldorfpädagogik Berlin’
Unser Gastautor Andreas Lichte war als Experte zur Waldorfschule beim Deutschlandradio Kultur zu Gast. In der „Zeitreisen“-Sendung „Die bessere Schule oder esoterischer Irrglaube?“ am 23.2.2011 berichtete er auch von seinen Erfahrungen während seiner Ausbildung zum Waldorflehrer am „Seminar für Waldorfpädagogik Berlin“. Hier eine Extended Version (…)”
weiter: http://www.ruhrbarone.de/waldorflehrer-werden-–-am-„seminar-fur-waldorfpadagogik-berlin“/
7. Februar 2013 @ 10:04
zu Rudolf Steiners Jahrsiebtelehre:
–
“Man kann nicht nur ein ‘bisschen’ Waldorf sein
Prof. Dr. Stefan T. Hopmann, Bildungswissenschaftler an der Universität Wien, über Waldorfschule, Rudolf Steiner und die Anthroposophie. Das Interview führte Andreas Lichte für die Ruhrbarone.
(…)
Lichte: noch einmal zur Jahrsiebtelehre – von 0–7 Jahre wird der physische Leib entwickelt, von 8–14 Jahre der Ätherleib, von 15–21 Jahre der Astralleib, vom 21 Lebensjahr an endlich das „Ich“ – erst dann ist der Mensch ein Mensch. Was sagen Sie zu Steiners Mensch aus dem Esoterik-Baukasten?
Hopmann: Wir leben in einer freien Gesellschaft. Also hat jede/r das Recht, jeden Unfug zu glauben. Nur sollten sich Eltern, die ihr Kind einer Waldorfschule anvertrauen, darüber im klaren sein, dass sie dann einer Pädagogik vertrauen, die ein heilloses Gebräu esoterischer Glaubenssätze über Drüsen, Zahnentwicklung, astrologischen Einflüsse und ähnliches ist, das von der modernen Kinderpsychologie und der aktuellen Lehr-Lern-Forschung durchweg als durch nichts begründbarer Unsinn abgelehnt wird. Entschiedene Waldorfianer wird das nicht anfechten: Wie alle Sekten sind sie gegen widersprechende Wissenschaft immun.
(…)”
zum vollständigen Interview: http://www.ruhrbarone.de/waldorfschule-„man-kann-nicht-nur-ein-»bisschen«-waldorf-sein“/
8. Februar 2013 @ 10:38
Hallo,
vielen Dank für die sehr informativen Links.
Ich habe neben der Hoaxilla-Folge auch noch verschiedenes quer gelesen, war aber aufgrund der Trennung zwischen Menschen ohne und Menschen mit Beeinträchtigung in der ortsnahen Waldorfschule grundsätzlich schon gegen diese Idee eingestellt. Zudem habe ich Bekannte und Kollegen die Kinder auf Waldorfschulen haben (eben jener heilpädagogischen und “normalen”) und habe extra Tage der offenen Tür besucht.
Und leider werden die Waldorfschulen oft mit “aber meine Kinder haben da prima gelernt” oder “da sind wenigstens nicht so viele Ausländer” kommentiert.
Da fällt mir immer Adorno mit “Es gibt kein richtiges Leben im falschen” ein und “aber er hat ja auch die Autobahnen gebaut” (nicht von Adorno).
8. Februar 2013 @ 11:16
@ Frank
der Vollständigkeit halber sei auch noch mitgeteilt, dass es eine “integrative Waldorfschule” gibt:
http://www.waldorfschule-emmendingen.de/
(was dort passiert, möchte ich mir gar nicht vorstellen)
8. Februar 2013 @ 11:20
… und meine Waldorf-Variante von Adornos “Es gibt kein richtiges Leben im falschen”:
“Es gibt keine richtige Lehre in der falschen.”
Rudolf Steiner ist ein Scharlatan
19. Februar 2013 @ 13:42
Es gibt sicherlich seltsame Auswüchse in der Waldorfpädagogik, aber pauschal den Daumen zu senken ist kurzsichtig und meiner Ansicht nach falsch. Die Wertschätzung und der Respekt gegenüber Menschen mit Behinderung jedweder Couleur empfand ich dort als außergewöhnlich.
28. Februar 2013 @ 06:12
Hallo Nisemh,
meine Kritik galt nicht bestimmten Menschen und ihrem Umgang mit Behinderten, sondern dem grundsätzlichen Ansatz der Anthroposophie. Wenn es in einem speziellen Fall anscheinend gut läuft, ist das Gesamtkonzept nach wie vor verwerflich.
Das fällt in die gleiche Ecke wie Paramedizin (aber ich hatte 10 Jahre Durchfall und mir hat es schließlich geholfen) und ähnliche Ansätze.
Liest man sich die entsprechenden Quellen durch, dann zeigt sich ein dermaßen verqueres Welt- und Menschenbild, dass es einem irgendwann schwer fällt überhaupt noch was positives zu sehen.
Wir sehen uns demnächst und diskutieren das bei einem Selbstgebrauten aus
7. März 2013 @ 12:57
2 Selbstgebraute und ein Aufgesetzter sind besser.
Steiner ist schon unbestritten behindertenfeindlich aber sein “Bodenpersonal” das ich kennengelernt habe war in Ordnung. Bei der Kirche kann man ja auch Teile der Lehre und des Personals ignorieren, sich darüber aufregen und sich trotzdem zugehörig fühlen. Flame on.